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Courtesy of PARADISE – Carola Leitner

Zwischen Verbrechensmythen und wahren Geschichten

Wenn ein Reit-Trail, der idyllisch zwischen Schmetterlingen und Schildkröten beginnt, sich als politisch-historische Reise entpuppt, kann das ein Glücksfall sein. Guides und Gastfamilien liefern Einblicke in das einst von Diktator Enver Hoxha isolierte Albanien. Ein Land zwischen Traum und Trauma, Geheimpolizei, Bücherverbrennungen und vielen vielleicht wahren Geschichten …

Rusa ist eine Kämpferin. Dumm nur, dass die dunkelbraune Stute mich als ihre Gegnerin auserkoren hat. Sie will rennen, nur muss ich sie dran hindern, denn Leitpferd Muji samt Guide darf nicht überholt werden. Dass wir ständig dem geduldigen Fliegenschimmel am Arsch kleben trägt nicht gerade zu meiner Entspannung bei. Bei einem berechtigten Huftritt aufgrund des fehlenden Abstands könnte meine getroffene Kniescheibe zerbröseln. Die Situation ist verfahren: Ich habe das schnellste Pferd aus dem Caravan Stall – aber kaum noch Energie die Speedmaschine unter
mir zu kontrollieren. Die Spitzengeschwindigkeit der Stute liegt angeblich bei 68 Stundenkilometer. Am zweiten Tag im Sattel wird plötzlich angaloppiert. Ich bin kurz unaufmerksam und rutsche aus dem linken Steigbügel. Die Einwirkung auf mein albanisches Mountain Horse ist dadurch beeinträchtigt. Rusa nutzt meine Schieflage gnadenlos aus: Sie schießt an Muji vorbei als wären wir auf der Zielgeraden des Royal Ascot Rennens nahe Schloss Windsor. Ilir, Guide und Mitbesitzer des Caravan Reitstalls, bleibt gelassen. Als ich die heißblütige Stute, die mich langsam aber sicher in den Wahnsinn treibt, wieder im Griff habe, frage ich ihn leicht verzweifelt: „Was mache ich falsch? Nehme ich sie kurz, wird sie immer nervöser, lasse ich die Zügel lang setzt sie zum Überholen an …“ Die Schuld liegt meist beim Reiter, das weiß ich, also suche ich sie auch bei mir. Dass Rusa aufgrund der Corona-Pandemie länger nicht geritten wurde und nun drauf brennt, endlich loszulegen erfahre ich erst später. Als die Landstraße, die sich eng an den steilen Hang schmiegt leicht ansteigt, dreht sich Ilir zu mir um und sagt: „Lass sie laufen!“ Und ja, ich dürfe überholen … Als die Stute mein Go! registriert, schießt sie loswie aus der Startmaschine. Sie beschleunigt so schnell, dass mir kurz Angst und Bang wird – vor allem als ich nach den ersten vorbeifliegenden 100 Metern eine enge Kurve vor mir sehe. Doch es ist zu spät, denn die Bremse funktioniert etwas eingeschränkt und es bleibt nur mehr eins: Augen zu und durch! Hinter uns spritzen Sand und Schotter in alle Richtungen als wir aus der Kurve hinauf auf den Berg preschen. Dass es sich hier um keine gesicherte Rennstrecke handelt wird mir erst später bewusst. Doch zum Glück ist der Autoverkehr in den Bergen Südalbaniens spärlich … endlich kann ich den Höllenritt genießen, denn ich spüre, dass auch mein Pferd sich entspannt. Die Stute beruhigt sich. Als Ilir wieder auf gleicher Höhe ist und auch meine beiden Reitkolleginnen Marine und Gina auf Zeus und Calamari aufgeholt haben, bin ich glücklich und zufrieden. Ich bedanke mich bei Ilir für seine Idee, die
geholfen zu haben scheint. Doch nur wenige Kilometer weiter geht der Zirkus von vorne los. Sie probiert alles: tänzelt quer über die Straße, wirft den Kopf nach hinten, einzig auf die Hinterbeine stellt sie sich nicht, immerhin. Als wir wenig später am Etappenziel ankommen, brennen meine Finger wie Feuer. Denn Rusa am laufen zu hindern war nur mit eiserner Hand möglich. Trotz der Reithandschuhe hängt meine Haut an kleinen und Ringfingern in Fetzen – an manchen Stellen ist die oberste Hautschicht fein säuberlich abgetragen.

P21-4_Cover (1)   P21-4_Reitreise_Albanien

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